Wer nicht wagt, der nicht gewinnt: Barbara Hendricks in Seefeld
Als die ehemalige SPD-Umweltschutzministerin Dr. Barbara Hendricks MdB im August nach Seefeld kam, erfüllte sich ein lang gehegter Wunsch unseres Klimaschutz-orientierten Ortsvereins.
Oft hatten wir bei Stammtischen darüber gesprochen, welche PolitikerIn wir einladen wollten, immer lief es auf Barbara hinaus. Gewagt, ihr Büro zu kontaktieren, hat unsere Ortsvereinsvorsitzende Marion Koppelmann schließlich um Ostern herum, und man gab uns eine Zusage für die sitzungsfreie Zeit des Bundestages.
Am 30. August hielt Dr. Barbara Hendricks dann vor voll besetztem Sudhaus im Bräustüberl auf Schloss Seefeld ein Referat zum Thema “Pariser Klimaschutzkonferenz war gestern, Umsetzung der Ziele heute?”
Die ganze Welt muss zusammenhelfen
Um das Klima zu stabilisieren und eine weitere Erderwärmung auf höchstens 2 Grad bis 2050 im Vergleich zum Beginn der Industrialisierung vor über 200 Jahren zu halten, haben sich die Teilnehmerländer in Paris ambitionierte und auf das jeweilige Land zugeschnittene Ziele gesetzt, die in verschiedenen Etappen bis 2020, 2030 und 2050 umgesetzt werden sollen. Klar wurde in Paris, dass die ganze Welt zusammenhelfen muss, um den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase deutlich zu verringern.
CO2-Äquivalent & Sektoren
Da verschiedene Gase unterschiedliche Auswirkungen haben, gibt es eine künstliche Messgröße, die alle(s) auf einen Nenner bringt: das CO2-Äquivalent. In Fachkreisen wird der gesamte CO2-Äquivalent-Ausstoß in 5 Sektoren untergliedert: Energieversorgung, Verkehr, Gebäude, Land- und Forstwirtschaft, Industrie und Wirtschaft. Wobei jeder Sektor nach seinen Möglichkeiten die verschiedenen Etappenziele bis 2050 erreichen sollte.
Das erklärte Ziel von Paris für 2050
Demnach generieren wir in Deutschland im Schnitt pro Kopf und Jahr gut 9 Tonnen CO2-Äquivalent, wenn wir Autofahren, Heizen, Lebensmittel verbrauchen, Häuser bauen — kurz gesagt, leben. Umweltverträglich und damit klimaneutral wäre eine Tonne pro Person, das erklärte Ziel von Paris für 2050 für alle Länder. Das erreichen aktuell z.B. Menschen in Indien, aber nur, wenn sie leben wie wir vor hundert Jahren.
Neue Technologien, neues Denken
Da man das Rad nicht zurückdrehen kann und sicher auch nicht will, gilt es einerseits, neue Technologien konsequent einzusetzen, andererseits das eigene Verhalten zu hinterfragen, nach dem Motto: Muss es im Winter 22 Grad bei mir in der Wohnung haben oder reichen 20; investiere ich nun doch endlich in die Dämmung meines Hauses; brauche ich für jeden Einkauf das Auto; kann ich Fahrten sinnvoll verbinden, vielleicht mal Fahrrad fahren; muss es der Apfel aus Übersee sein und wie lange will ich eigentlich noch täglich 160 km zur Arbeit und zurückfahren?
Deutsche Klimaschutzziele und deren Umsetzung
Insgesamt hat sich Deutschland 2016 im Nachgang zur Pariser Klimakonferenz 2015 der UN gegenüber verpflichtet, den gesamten CO2-Äquivalent-Ausstoß bis 2030 um 55% zu verringern und bis 2050 um bis zu 95%. Die Bundesregierung hat mit dem Klimaschutzplan 2050 ihre nationalen Klimaschutzziele weiter präzisiert. So weit so gut, nur wo bleiben die messbaren Erfolge? Wir haben einen der wärmsten Sommer seit Messbeginn hinter uns, weltweit nehmen durch den Klimawandel hervorgerufene Naturkatastrophen zu.
Barbara Hendricks erklärte, dass es in Deutschland bei vier der fünf Sektoren gute Fortschritte beim Einsparen des CO2-Äquivalent-Ausstoßes gibt, lediglich der Sektor Verkehr zeigt so gut wie keine Veränderung zu den Messdaten von 1990. Außerdem müssten die reichen Nationen mit gutem Beispiel und Unterstützung vorangehen.
Dazu wollte unser OV-Mitglied Wolfgang Niemann wissen, ob ihr bekannt sei, dass ein inzwischen leider in Konkurs gegangenes Startup, einen Zementersatz mit Magnesiumsilikat statt mit Kalzium entwickelt hat, der CO2 absorbiert anstatt — wie normaler Zement — CO2 zu emittieren! Dazu sei angemerkt, dass es sich bei Zement um einen der größten CO2-Emittenten handelt. Barbara Hendricks antwortete, dass ihr Optimismus bezüglich der voraussichtlichen Klimaentwicklung auch auf der Annahme gründe, dass der CO2-Ausstoß u.a. aufgrund solch technischer Fortschritte noch zu beherrschen sein werde.
Was passiert, wenn nicht?
Falls sich die Erderwärmung 2050 über die 2 Grad im Vergleich zur Zeit des Beginns der Industrialisierung erwärmen sollte, werden laut Experten bestimmte Kipppunkte (tipping points) überschritten, und danach werden gewisse Veränderungen unumkehrbar sein und sich die durch den Klimawandel induzierten Probleme noch verschärfen. Beispiel: Tauen durch die ansteigenden Temperaturen Permafrostböden auf, verstärkt sich durch das dann entweichende Methangas der Temperaturanstieg zusätzlich.
Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf Bayern?
Diese Frage reichte Barbara Hendricks gerne an unseren Gemeinderat Prof. Dr. Martin Dameris weiter. Als Meteorologe wusste er zu berichten, warum auch schon ein Grad Erderwärmung über die letzten 100 Jahre durchaus problematisch ist, da sich dieses eine Grad “lediglich” auf die global ermittelte Jahresdurchschnitts-Temperatur beziehe. Die Erwärmung fällt regional und jahreszeitlich allerdings sehr unterschiedlich aus. Bei uns ist es etwa auf dem Hohenpeißenberg bis zu zwei Grad wärmer geworden. Die April-Mitteltemperaturen sind in den letzten 40 Jahren um vier Grad angestiegen. In der Regel bedeutet das für die betroffene Region, dass die Nachteile bei einer Erwärmung sich noch schneller darstellen. Bei uns war es “nur” besonders warm in diesem Sommer und weil wir grundsätzlich genügend Restfeuchte in den Böden hatten, gab es Superobsternten. Allerdings führte der Supersommer etwa in Franken zu Ernteausfällen aufgrund von Dürre.
Weitere Fragen aus dem Publikum
Grundsätzlich war bei der Veranstaltung Barbara Hendricks hoffnungsvoller, das gesteckte Ziel zu erreichen, als die Zuhörerinnen und Zuhörer. Darunter auch VertreterInnen der verschiedenen Energiewende-Vereine des Kreises, des BUND und der Grünen. Besonders schwierig fand das Publikum, dass sich die Weichenstellung zur Erreichung des erklärten Ziels technisch sofort umsetzen ließe, dies aber im Alltag nicht umfänglich genug und auch nicht eins zu eins geschehen würde.
Unser stellvertretender Vorsitzender Ernst Deiringer wollte von Barbara Hendricks wissen, warum Entscheidungsträger in der Politik den Artikel 20a des Grundgesetzes nicht ernster nehmen würden; der da lautet: “Der Staat schützt auch in Verantwortung für die zukünftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtssprechung.”
Dazu erklärte Barbara Hendricks, dass es immer einen Wettstreit zwischen den verschiedenen allesamt im Grundgesetz verankerten Rechten für die Bürgerinnen und Bürger gäbe. Wir müssten z.B. grundsätzlich dahin kommen, dass das Recht auf Arbeit, dem Recht auf Unversehrtheit überhaupt nicht mehr Konkurrenz mache. Dass in diesem Bereich schon große Erfolge erzielt wurden, wenn man die gesamte Zeitspanne seit Beginn der Industrialisierung betrachtet, ist wohl unstrittig, und lässt hoffen …
Der Ortsverein bedankt sich für Barbara Hendricks Besuch
Nach zwei interessanten Stunden bedankte sich die Ortsvereinsvorsitzende bei Dr. Barbara Hendricks für den informativen Abend und auch beim Publikum fürs Kommen. Marion Koppelmann führte noch an, dass unser Ortsverein das zunächst fast Undenkbare gewagt habe, Barbara Hendricks einzuladen, und schloss mit den Worten, dass die Menschheit den Wettlauf gegen die Zeit bei ihren Bemühungen um die Begrenzung des Klimawandels in jedem Fall nur gewinnen werde, wenn sie endlich wagt, neue Wege zu gehen.
Von unserer Ortsvereinsvorsitzenden Marion Koppelmann
Fotos: Johanna Klügl, Julie Heinrich und Marion Koppelmann
FOTOGALERIE FOLGT
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